Eine ganz besondere Saison geht zu
Ende. Es war alles dabei, extreme Vorfreude, extreme Enttäuschung,
der ganze tiefe Fall und die Auferstehung. Ein Kraftakt und eine
Glaubensfrage. Als wir am ersten Spieltag unsere
Oberliga-Abschiedtour-Choreo präsentierten, wurde eine
Marschrichtung ausgegeben, an der wir uns für den Rest der Saison
messen lassen mussten.
Unser überschwänglicher Optimismus
drohte uns nämlich zum Verhängnis zu werden, als mit dem großen
Verletzungspech der große Einbruch kam.
Das jahrelange Ziel „Aufstieg“
schien schnell verspielt und unsere Oberliga-Abschiedstour avancierte
zum Gespött der Hamburger Amateurszene.
Mit einem eher ungewöhnlichen
Schachzug aber wurden schließlich Mannschaft und Umfeld wieder
zusammengebracht: In einem gemeinsamen Gespräch sollten ausgerechnet
wir dem Team ins Gewissen reden. Es war für uns Fans ein bewegender
Moment, den Jungs erklären zu dürfen, was Victoria uns bedeutet und
was genau unser Antrieb ist. Lutz und Ronald schlossen sich unseren
Worten an und irgendwie entstand an diesem Abend wohl in allen die
feste Überzeugung, dass die Saison noch lange nicht entschieden sei:
Ganz egal, wie und wer auf dem Feld steht, Victoria kommt zurück!
Dieser Moment war sicherlich ein
Wendepunkt und das Team fand endlich sein verloren gegangenes
Selbstvertrauen zurück. Schon mit dem Vorweihnachtlichen 6:1 gegen
Schnelsen war es allen Victorianern klar: Wir sind wieder da. Das
Trainingslager steigerte diesen Eindruck noch einmal und alle
glaubten an den großen Durchmarsch. Und wer so lange glaubt, sich
nicht beirren lässt und für ein Ziel arbeitet, der wird auch
belohnt. Es siegt eben immer der, der am längsten drauf beharrt!
Die Mannschaft spielte eine überragende
Rückrunde und sicherte sich Aufstieg, Meisterschaft und letztlich
auch den Pokalsieg. Hollywood hätte all das nicht pathetischer
inszenieren können.
Der große Höhepunkt folgte nun also
am Pfingstmontag. Das Pokalfinale. Traumhaftes Wetter, eigenes
Stadion, fast 5000 Zuschauer und ein Gegner, dem zumindest wir Fans
nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln gönnen. Der perfekte
Abschluss also und so begannen die Arbeiten schon Tage zuvor:
Während wir im Curslack-Spiel mit
einer kleinen optischen Aktion noch einmal die erste „Choreo“ der
Saison unter dem Motto „Oberliga-Abschiedstour“ Revue passieren
ließen, galt es für den großen Pokalschlager schon sehr viel mehr
Bastelarbeit zu bewerkstelligen. Da musste dann auch noch eine ganze
Nacht und viel Pizza investiert werden, um bis zum Morgen an Flyer
und Buchstaben zu werkeln. Eine tolle Erfahrung, wenn alle so
engagiert und opferbereit mitziehen. Der Flyer hat zwar seine kleinen
Fehler, aber wer um 5 Uhr morgens schreibt, der ist eben nicht immer
ganz zurechnungsfähig. Es sei uns bitte verziehen und die 36 Seiten
sollten ja eigentlich genug entschädigen.
Am Samstag ging es noch einmal ran, um
den Rest der Choreo im Stadion selbst vorzubereiten. Ein Kraftakt in
extremer Hitze. Die Anspannung stieg, hoffentlich sollte jetzt auch
alles klappen. Gerade in Sachen Security
kündigte sich doch ein großer Unsicherheitsfaktor an.
Ich wage mal zu behaupten, dass alle
von uns selten so nervös in ein Spiel gegangen sind, wie in dieses
Pokalspiel. Es ging einfach um so viel mehr als eine Runde DFB-Pokal.
Ein kleiner Verein wie der SCV hängt von den Pokaleinnahmen ab,
zumindest wenn er sich im Falle eines Nichtabstiegs ein weiteres Jahr
in der Regionalliga halten will. Immerhin werden wir als Club mit dem
geringsten Etat starten. Nur mit den Fernsehgeldern scheint eine
zweite Saison realistisch. Aber natürlich spielte auch sehr viel
Prestige in diese Partie mit hinein. Schnelsen war alles andere als
ein leichter Gegner. Zu viele namhafte Akteure hatten sich die Jungs
von der Tanke in den letzten Jahren zusammengekauft, nicht zuletzt
Ex-Victorianer Stefan Rahn. Aber wem sag ich das?
Schon im Vorfeld war also klar, die
Zuschauerzahlen werden weit höher als bei den letzten
Pokalendspielen sein. Wir tippten auf 3000 Amateursportfans, doch
weit gefehlt... es wurden 4443.
Leider bringt so ein großes Event auch
immer wieder Schattenseiten mit sich. Vieles, was im Oberligaalltag
so unkompliziert, so locker, so entspannt ist, wird bei solch einem
Spiel ins Negative verkehrt. Dann sind da plötzlich all die vielen
wichtigen Leute, die alles entscheiden, alles wissen und alles neu
reglementieren wollen. Es ist sehr schwer, sich nicht sofort die gute
Laune nehmen zu lassen und dem teilweise sinnbefreiten Vorgaben
nachzukommen. Auch hier wurde greifbar, woran der deutsche Fußball
krankt: Ein Overload an Kommerz und Sicherheitsvorgaben, die dem
einfachen Fan die Luft zum Atmen rauben. Dem Eventfan, der heute zum
ersten Mal da ist und sonst nur die Bundesliga aus dem Familienblock
heraus kennt, mag das nicht weiter auffallen, geschweige denn stören,
für uns, die wir aber immer da sind und die Freiheit kennen, die
beim Fußball immer noch eingeräumt werden kann – und zwar ohne
dass es Spieltag für Spieltag Tote und Schwerverletzte gibt – ist
es kraftraubend und frustrierend. So frustrierend, dass es nicht
schwer fällt, sich da einen Zusammenhang zur steigenden
Aggressivität im Fußball zu denken. Wenn ich immer wieder diese
Ohnmacht gegenüber Polizei, Security und Verbänden erleben müsste,
ich hätte auch nicht mehr die Unbeschwertheit, einfach nur ein
Fußballspiel zu sehen, zu besingen und mitzufiebern. Irgendwann ist
die höchste Frustrationsschwelle erreicht. Das Gefühl von
permanenter Ungerechtigkeit kann dann ein starker Antrieb sein, der
leider immer wieder von der recherche-, gar denkfaulen Journalie als
pure Lust auf Gewalt missgedeutet wird. Jedes bisschen traditionelle
Fankultur muss plötzlich hart zurückerkämpft werden. Furchtbar.
Zurück zum Pokalfinale. Die Stunden
vor dem Anpfiff wurde also aufgebaut und sich mit diversen
Pseudowichtigkeiten herumgeschlagen. Die Anspannung war groß und
nicht alles klappte so geschmiert wie im normalen Ligaalltag. Wir
schieben es mal auf allgemeine Aufregung und Überengagement.
Auch die Erkenntnis, dass die
Pokal-Security (most of them) nur wenig Interesse daran hat,
Thor-Steinar-Gesellen vor die Tür zu setzen, entspannte die Lage
leider nicht und wir mussten auch an dieser Stelle noch tätig
werden. Schwer, wenn einen die Zuschauermassen beinahe überrennen.
Es war wirklich unangenehm voll an der Hoheluft.
Die Zuschauermassen drängten sich
übrigens schon frühzeitig an den Stadiontoren. Der allwissende
Verband aber meinte, es reiche bei solch einem Spiel, den Einlass auf
eine Stunde vor Spielbeginn zu beschränken. Und siehe da, die Partie
musste aufgrund des großen Zuschauerinteresses später angepfiffen
werden. Hätte man nun wirklich nicht ahnen können.
Ungewohnt und auch unangenehm, dass um
unseren kaotischen Block mit ca. 40 bis 50 Supportinteressierten
sowie Victoria-Umfeld, einfach sehr viel Eventpublikum verkehrte.
Dazu unendlich viele kleine Victoria-Kicker, die natürlich im
Fanblock stehen wollten. An sich ganz nett und auch nicht
verwerflich, aber auch schwer, wenn um einen herum plötzlich Kinder
über Kinder stehen und gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Es war
furchtbar wuselig.
Zunächst galt alle Aufmerksamkeit der
konzentrierten Präsentation unserer kleinen Choreo. Als Motto heute
der Klassiker: „Veni, Vedi, Vicky!“ Marschrichtung für den SC
also klar. Kommen, sehen, siegen. Sah prima aus, alles klappte und
der Mob konnte sich an seinen Job machen.
Leider gelang das heute nur sehr mäßig.
Gerade in der ersten Hälfte brannte die Sonne, die Stimmen waren
nach wenigen Minuten weg und immer wieder mussten Leute los und
Wasser holen. Die Hitze war zermürbend. Dazu kamen natürlich die
vielen Kinder, die ringsherum für Unruhe sorgen. Wie gesagt, kein
Vorwurf an unsere Kiddies, ist ja toll, dass sie alle bei uns stehen
wollen, doch wir sind es einfach nicht gewohnt, so in der Masse
unterzugehen.
Trotzdem gab es natürlich auch immer
wieder gute Momente im Support, es war immerhin kein Totalausfall.
Natürlich verstärkte das Spiel in Hälfte eins wohl bei einigen die
Trägheit und die Gesänge waren oftmals viel zu leise. Wobei, gegen
so eine Kulisse muss man erst einmal an singen.
Victoria begann die Partie eigentlich
sehr ordentlich. Cem hatte gleich zwei mal die Führung auf dem Fuß.
Einmal verpasste er nur um Zentimeter, einmal rettete der Pfosten.
Dann trat genau das ein, wovor sich alle fürchteten. Germania
zimmerte den Ball über Mirko Schulz und Oldie Jürgen Tunjic in die
Maschen. Es darf jeder selbst entscheiden, ob einfach können oder
auch ein wenig Glück dabei war. Es bleibt natürlich bemerkenswert,
dass er das Ding mit einem doppelten Bänderriss machte!
Für Victoria folgte die schlechteste
Phase des Spiels. Alle waren total von der Rolle. Genau wie unsere
Kurve. Wir mühten uns in stechender Hitze den Gesang am Leben zu
halten und die Jungs auf dem Rasen das Spiel. Die Halbzeitpause kam
dann genau richtig. Erfrischung musste her, ausruhen, noch einmal
Kraft schöpfen, um es dann in Durchgang zwei besser zu machen.
Und tatsächlich, nicht nur der SCV
legte in den zweiten 45 Minuten eine Schippe drauf, auch die Kurve
konnte sich etwas steigern. Wir fanden uns in die gewohnt langen
Gesänge ein, die zwar die Mannschaft nicht immer pushen, aber ihr
Spiel oft beruhigen und rhythmischer machen. Während wir immer mehr
Leidenschaft in einige Lieder legen konnten, fand die Mannschaft ihr
Spiel. Je näher wir dem Tor kamen, desto besser die Kurve. Der Ball
lief und schließlich sorgte Nico Patschinski zum erlösenden Jubel.
Als würde das Spiel Sinnbild für die gesamte Saison stehen,
glaubten plötzlich alle an den Sieg. Obwohl Schau noch einmal in
einer Glanztat gegen Nadler retten musste, war der SCV jetzt nicht
mehr zu stoppen. Das mentale Übergewicht bei Blau-Gelb. Deutlich
spürbar. Die Kurve brauchte nach dem Tor tatsächlich einen Moment,
sich von dem extremen Jubel zu erholen. Luft weg, Stimme weg, alle
total fertig.
Trotzdem gingen viele noch einmal an
ihre Reserven und gaben alles. Ich denke, in Sachen Akustik waren wir
jetzt immer wieder ganz ordentlich dabei, der Ekstasefaktor war
zumindest im C-Block recht hoch. Als dann das 2:1 fiel, wieder nach
der Kombination Stilz/Patschinski gab es kein Halten mehr. Germania
am Boden, irgendwie platt, Victoria strotzte nur so vor
Selbstbewusstsein. Nein, nicht ganz Victoria, denn leider konnte
Vierig allein vor Grubba nicht das Säcklein zumachen und die letzten
Minuten durfte dann doch noch einmal gezittert werden. Germania mit
der letzten Reserve und obligatorischer Schlussoffensive, doch es
half nichts mehr. Victoria hat es wieder, das Sieger-Gen. Die letzten
Minuten in der Kurve gelang dann kaum noch ein guter Gesang, alle
fieberten zu sehr mit. Immer wieder wurde abgebrochen, gebrüllt,
gewettert, gezittert. Als dann endlich der Abpfiff ertönte, ließen
sich einige nicht einmal von den für Oberligaverhältnisse etwas
überhart agierenden Ordnern abhalten und stürmten das Spielfeld.
Der Rest musste erst einmal völlig erschöpft durchatmen. Was für
ein Spiel, was für ein Comeback, was für eine Saison!