Montag, 28. Mai 2012

Oddset-Pokal-Finale: TuS Germania Schnelsen - SC Victoria 1:2 (1:0) (28.05.2012)


Eine ganz besondere Saison geht zu Ende. Es war alles dabei, extreme Vorfreude, extreme Enttäuschung, der ganze tiefe Fall und die Auferstehung. Ein Kraftakt und eine Glaubensfrage. Als wir am ersten Spieltag unsere Oberliga-Abschiedtour-Choreo präsentierten, wurde eine Marschrichtung ausgegeben, an der wir uns für den Rest der Saison messen lassen mussten.
Unser überschwänglicher Optimismus drohte uns nämlich zum Verhängnis zu werden, als mit dem großen Verletzungspech der große Einbruch kam.
Das jahrelange Ziel „Aufstieg“ schien schnell verspielt und unsere Oberliga-Abschiedstour avancierte zum Gespött der Hamburger Amateurszene.

Mit einem eher ungewöhnlichen Schachzug aber wurden schließlich Mannschaft und Umfeld wieder zusammengebracht: In einem gemeinsamen Gespräch sollten ausgerechnet wir dem Team ins Gewissen reden. Es war für uns Fans ein bewegender Moment, den Jungs erklären zu dürfen, was Victoria uns bedeutet und was genau unser Antrieb ist. Lutz und Ronald schlossen sich unseren Worten an und irgendwie entstand an diesem Abend wohl in allen die feste Überzeugung, dass die Saison noch lange nicht entschieden sei: Ganz egal, wie und wer auf dem Feld steht, Victoria kommt zurück!
Dieser Moment war sicherlich ein Wendepunkt und das Team fand endlich sein verloren gegangenes Selbstvertrauen zurück. Schon mit dem Vorweihnachtlichen 6:1 gegen Schnelsen war es allen Victorianern klar: Wir sind wieder da. Das Trainingslager steigerte diesen Eindruck noch einmal und alle glaubten an den großen Durchmarsch. Und wer so lange glaubt, sich nicht beirren lässt und für ein Ziel arbeitet, der wird auch belohnt. Es siegt eben immer der, der am längsten drauf beharrt!
Die Mannschaft spielte eine überragende Rückrunde und sicherte sich Aufstieg, Meisterschaft und letztlich auch den Pokalsieg. Hollywood hätte all das nicht pathetischer inszenieren können.

Der große Höhepunkt folgte nun also am Pfingstmontag. Das Pokalfinale. Traumhaftes Wetter, eigenes Stadion, fast 5000 Zuschauer und ein Gegner, dem zumindest wir Fans nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln gönnen. Der perfekte Abschluss also und so begannen die Arbeiten schon Tage zuvor:
Während wir im Curslack-Spiel mit einer kleinen optischen Aktion noch einmal die erste „Choreo“ der Saison unter dem Motto „Oberliga-Abschiedstour“ Revue passieren ließen, galt es für den großen Pokalschlager schon sehr viel mehr Bastelarbeit zu bewerkstelligen. Da musste dann auch noch eine ganze Nacht und viel Pizza investiert werden, um bis zum Morgen an Flyer und Buchstaben zu werkeln. Eine tolle Erfahrung, wenn alle so engagiert und opferbereit mitziehen. Der Flyer hat zwar seine kleinen Fehler, aber wer um 5 Uhr morgens schreibt, der ist eben nicht immer ganz zurechnungsfähig. Es sei uns bitte verziehen und die 36 Seiten sollten ja eigentlich genug entschädigen.
Am Samstag ging es noch einmal ran, um den Rest der Choreo im Stadion selbst vorzubereiten. Ein Kraftakt in extremer Hitze. Die Anspannung stieg, hoffentlich sollte jetzt auch alles klappen. Gerade in Sachen Security kündigte sich doch ein großer Unsicherheitsfaktor an.

Ich wage mal zu behaupten, dass alle von uns selten so nervös in ein Spiel gegangen sind, wie in dieses Pokalspiel. Es ging einfach um so viel mehr als eine Runde DFB-Pokal. Ein kleiner Verein wie der SCV hängt von den Pokaleinnahmen ab, zumindest wenn er sich im Falle eines Nichtabstiegs ein weiteres Jahr in der Regionalliga halten will. Immerhin werden wir als Club mit dem geringsten Etat starten. Nur mit den Fernsehgeldern scheint eine zweite Saison realistisch. Aber natürlich spielte auch sehr viel Prestige in diese Partie mit hinein. Schnelsen war alles andere als ein leichter Gegner. Zu viele namhafte Akteure hatten sich die Jungs von der Tanke in den letzten Jahren zusammengekauft, nicht zuletzt Ex-Victorianer Stefan Rahn. Aber wem sag ich das?
Schon im Vorfeld war also klar, die Zuschauerzahlen werden weit höher als bei den letzten Pokalendspielen sein. Wir tippten auf 3000 Amateursportfans, doch weit gefehlt... es wurden 4443.

Leider bringt so ein großes Event auch immer wieder Schattenseiten mit sich. Vieles, was im Oberligaalltag so unkompliziert, so locker, so entspannt ist, wird bei solch einem Spiel ins Negative verkehrt. Dann sind da plötzlich all die vielen wichtigen Leute, die alles entscheiden, alles wissen und alles neu reglementieren wollen. Es ist sehr schwer, sich nicht sofort die gute Laune nehmen zu lassen und dem teilweise sinnbefreiten Vorgaben nachzukommen. Auch hier wurde greifbar, woran der deutsche Fußball krankt: Ein Overload an Kommerz und Sicherheitsvorgaben, die dem einfachen Fan die Luft zum Atmen rauben. Dem Eventfan, der heute zum ersten Mal da ist und sonst nur die Bundesliga aus dem Familienblock heraus kennt, mag das nicht weiter auffallen, geschweige denn stören, für uns, die wir aber immer da sind und die Freiheit kennen, die beim Fußball immer noch eingeräumt werden kann – und zwar ohne dass es Spieltag für Spieltag Tote und Schwerverletzte gibt – ist es kraftraubend und frustrierend. So frustrierend, dass es nicht schwer fällt, sich da einen Zusammenhang zur steigenden Aggressivität im Fußball zu denken. Wenn ich immer wieder diese Ohnmacht gegenüber Polizei, Security und Verbänden erleben müsste, ich hätte auch nicht mehr die Unbeschwertheit, einfach nur ein Fußballspiel zu sehen, zu besingen und mitzufiebern. Irgendwann ist die höchste Frustrationsschwelle erreicht. Das Gefühl von permanenter Ungerechtigkeit kann dann ein starker Antrieb sein, der leider immer wieder von der recherche-, gar denkfaulen Journalie als pure Lust auf Gewalt missgedeutet wird. Jedes bisschen traditionelle Fankultur muss plötzlich hart zurückerkämpft werden. Furchtbar.

Zurück zum Pokalfinale. Die Stunden vor dem Anpfiff wurde also aufgebaut und sich mit diversen Pseudowichtigkeiten herumgeschlagen. Die Anspannung war groß und nicht alles klappte so geschmiert wie im normalen Ligaalltag. Wir schieben es mal auf allgemeine Aufregung und Überengagement.
Auch die Erkenntnis, dass die Pokal-Security (most of them) nur wenig Interesse daran hat, Thor-Steinar-Gesellen vor die Tür zu setzen, entspannte die Lage leider nicht und wir mussten auch an dieser Stelle noch tätig werden. Schwer, wenn einen die Zuschauermassen beinahe überrennen. Es war wirklich unangenehm voll an der Hoheluft.
Die Zuschauermassen drängten sich übrigens schon frühzeitig an den Stadiontoren. Der allwissende Verband aber meinte, es reiche bei solch einem Spiel, den Einlass auf eine Stunde vor Spielbeginn zu beschränken. Und siehe da, die Partie musste aufgrund des großen Zuschauerinteresses später angepfiffen werden. Hätte man nun wirklich nicht ahnen können.

Ungewohnt und auch unangenehm, dass um unseren kaotischen Block mit ca. 40 bis 50 Supportinteressierten sowie Victoria-Umfeld, einfach sehr viel Eventpublikum verkehrte. Dazu unendlich viele kleine Victoria-Kicker, die natürlich im Fanblock stehen wollten. An sich ganz nett und auch nicht verwerflich, aber auch schwer, wenn um einen herum plötzlich Kinder über Kinder stehen und gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Es war furchtbar wuselig.

Zunächst galt alle Aufmerksamkeit der konzentrierten Präsentation unserer kleinen Choreo. Als Motto heute der Klassiker: „Veni, Vedi, Vicky!“ Marschrichtung für den SC also klar. Kommen, sehen, siegen. Sah prima aus, alles klappte und der Mob konnte sich an seinen Job machen.
Leider gelang das heute nur sehr mäßig. Gerade in der ersten Hälfte brannte die Sonne, die Stimmen waren nach wenigen Minuten weg und immer wieder mussten Leute los und Wasser holen. Die Hitze war zermürbend. Dazu kamen natürlich die vielen Kinder, die ringsherum für Unruhe sorgen. Wie gesagt, kein Vorwurf an unsere Kiddies, ist ja toll, dass sie alle bei uns stehen wollen, doch wir sind es einfach nicht gewohnt, so in der Masse unterzugehen.
Trotzdem gab es natürlich auch immer wieder gute Momente im Support, es war immerhin kein Totalausfall. Natürlich verstärkte das Spiel in Hälfte eins wohl bei einigen die Trägheit und die Gesänge waren oftmals viel zu leise. Wobei, gegen so eine Kulisse muss man erst einmal an singen.

Victoria begann die Partie eigentlich sehr ordentlich. Cem hatte gleich zwei mal die Führung auf dem Fuß. Einmal verpasste er nur um Zentimeter, einmal rettete der Pfosten. Dann trat genau das ein, wovor sich alle fürchteten. Germania zimmerte den Ball über Mirko Schulz und Oldie Jürgen Tunjic in die Maschen. Es darf jeder selbst entscheiden, ob einfach können oder auch ein wenig Glück dabei war. Es bleibt natürlich bemerkenswert, dass er das Ding mit einem doppelten Bänderriss machte!
Für Victoria folgte die schlechteste Phase des Spiels. Alle waren total von der Rolle. Genau wie unsere Kurve. Wir mühten uns in stechender Hitze den Gesang am Leben zu halten und die Jungs auf dem Rasen das Spiel. Die Halbzeitpause kam dann genau richtig. Erfrischung musste her, ausruhen, noch einmal Kraft schöpfen, um es dann in Durchgang zwei besser zu machen.
Und tatsächlich, nicht nur der SCV legte in den zweiten 45 Minuten eine Schippe drauf, auch die Kurve konnte sich etwas steigern. Wir fanden uns in die gewohnt langen Gesänge ein, die zwar die Mannschaft nicht immer pushen, aber ihr Spiel oft beruhigen und rhythmischer machen. Während wir immer mehr Leidenschaft in einige Lieder legen konnten, fand die Mannschaft ihr Spiel. Je näher wir dem Tor kamen, desto besser die Kurve. Der Ball lief und schließlich sorgte Nico Patschinski zum erlösenden Jubel. Als würde das Spiel Sinnbild für die gesamte Saison stehen, glaubten plötzlich alle an den Sieg. Obwohl Schau noch einmal in einer Glanztat gegen Nadler retten musste, war der SCV jetzt nicht mehr zu stoppen. Das mentale Übergewicht bei Blau-Gelb. Deutlich spürbar. Die Kurve brauchte nach dem Tor tatsächlich einen Moment, sich von dem extremen Jubel zu erholen. Luft weg, Stimme weg, alle total fertig.
Trotzdem gingen viele noch einmal an ihre Reserven und gaben alles. Ich denke, in Sachen Akustik waren wir jetzt immer wieder ganz ordentlich dabei, der Ekstasefaktor war zumindest im C-Block recht hoch. Als dann das 2:1 fiel, wieder nach der Kombination Stilz/Patschinski gab es kein Halten mehr. Germania am Boden, irgendwie platt, Victoria strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Nein, nicht ganz Victoria, denn leider konnte Vierig allein vor Grubba nicht das Säcklein zumachen und die letzten Minuten durfte dann doch noch einmal gezittert werden. Germania mit der letzten Reserve und obligatorischer Schlussoffensive, doch es half nichts mehr. Victoria hat es wieder, das Sieger-Gen. Die letzten Minuten in der Kurve gelang dann kaum noch ein guter Gesang, alle fieberten zu sehr mit. Immer wieder wurde abgebrochen, gebrüllt, gewettert, gezittert. Als dann endlich der Abpfiff ertönte, ließen sich einige nicht einmal von den für Oberligaverhältnisse etwas überhart agierenden Ordnern abhalten und stürmten das Spielfeld. Der Rest musste erst einmal völlig erschöpft durchatmen. Was für ein Spiel, was für ein Comeback, was für eine Saison!